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Juli: What the bird said - Gabriele Auth

 

Es war nicht einfach, das Buchkind ins Leben zu schicken, aber wunderschön. Immerhin haben wir da einen Roman, der das Mädchen Juli nach düsterer Kindheit in die Flower-Power Zeit katapultiert, in der sie zwischen zwei Brüdern steht, beide liebt, dann hungert in Italien, umgeben von Heroinabhängigen, von Menschen, denen es schwerfällt, sich weiter zu entwickeln. Ob Juli es schafft, ihr Leben in den Griff zu kriegen?

Das sollten Sie lesen. Spannend, poetisch, verstörend.

Ich freue mich, dass ich Ihnen das schöne Werk hier vorstellen kann.

 

Klappentext:

Zwei junge Frauen treffen sich im Raucherraum eines Krankenhauses. Juli und Elsa.

Sie rauchen. Sie reden.

Juli erzählt Elsa ihre Geschichte in einer einzigen Nacht. Die Kindheit mit einem alkoholabhängigen Vater, erste Liebe und deren Ende mit Schrecken. Zwei Brüder, zwischen denen sie sich nicht entscheiden konnte und die seltsamen Träume von einer Vogelfrau, deren Botschaft sie am Ende der Nacht endlich versteht.

 

Leseprobe:

Mein Vater war nicht der Held, für den ich ihn hielt. Ich war ungefähr sieben, als ich das kapierte. Mitten in der Nacht weckte mich ein Poltern aus dem Treppenhaus, ich huschte zur Zimmertür, öffnete sie einen Spalt und blinzelte hindurch.

Der Geruch von Zigarettenrauch, Bier und Frikadellen mit Senf stahl sich in den Flur und kroch mir in die Nase, als Vater zur Wohnungstür hereinkam.

»Is was später geworden«, sagte er zu meiner Mutter, die in ihrem verwaschenen gelben Morgenmantel in der Schlafzimmertür stand. Vater tastete sich mit schlurfenden Schritten ins Wohnzimmer. Ich hörte die Sprungfedern des Sofas knarren, als er sich hinsetzte und konnte fast vor mir sehen, wie er da saß, nach vorn gebeugt, mit hängendem Kopf, die Arme schlaff auf den Schenkeln. Ich hatte ihn tausendmal so sitzen sehen, wenn er nach Bier roch.

Mutter ging in die Küche. Ich wusste, dass sie Brote schmierte. In der Stille vermischte sich das Schaben des Brotmessers mit dem Geräusch des Wasserkessels und schwoll an zu einem trostlosen Rhythmus. Sie kochte ihm immer Kaffee, wenn er betrunken war. Als ob eine gute Tasse Kaffee auch das Leben gut machen könnte.

Ich beobachtete, wie sie das Tablett durch den Flur trug. Den Rücken hielt sie stocksteif, als wäre sie in ein Korsett eingeschnürt.

Ich schlich in die Diele, linste durch die angelehnte Wohnzimmertür, rieb mir den Schlaf aus den Augen.

Vaters Anblick ließ sich nicht wegwischen.

Er aß mit unsicherer Hand, den Blick auf den Teller geheftet. Mutter stand vor ihm, sah ihn an, stumm, die Arme verschränkt, die Lippen zusammengepresst, bis es aus ihr herausplatzte.

»Du bist besoffen.«

Sein Gesicht erstarrte. Rot und schief sah es aus. Die Hand stockte mitten im Griff nach der nächsten Wurststulle.

»Dummer Bauerntrampel.«

Er schleuderte den Teller mit den Broten, von denen eines gegen die Wand klatschte. Im Zeitlupentempo rutschte es die Tapete hinunter und zog einen fettigen Leberwurststreifen hinter sich her.

Unter meinen nackten Füßen spürte ich die Kälte des PVC-Bodens. Ich kaute auf der Unterlippe, starrte die Tür an, hörte meine Eltern brüllen, eine millionenfach abgespulte Litanei von Beleidigungen, Vorwürfen und gegenseitigen Schuldzuweisungen. Ich dachte, die würden nie wieder aufhören. Mein Hals fühlte sich eng an, so, als ob mir ganz langsam die Luft ausginge, immer ein bisschen weniger, bis keine mehr da wäre.

Frierend tappte ich zurück ins Kinderzimmer, wo ich im Bett lag, die kalten Füße aneinander reibend, die Decke über den Kopf gezogen, auf Stille wartend. Ich weinte nicht. Nicht wie damals, als ich ein Kleinkind war und ohne Licht nicht einschlafen wollte. Vater hatte mich geschlagen und das Licht gelöscht. Damals, ja, da lag ich heulend im dunklen Zimmer und starrte in die Schatten. Jetzt war ich schon groß. Ein Leberwurstbrot auf einer Tapete. Warum sollte ich darüber weinen?

 

Ich spürte, dass unser Familienleben nicht in Ordnung war. Das Gefühl klebte sich an meine Fersen, verfolgte mich durch die Kindheit, ein unverwechselbarer Geruch, der an mir haften blieb, wie sehr ich auch versuchte, ihn abzustreifen. Ich wollte eine Familie, wo man beim Essen ab und zu ein Glas Wein trank. Einfach nur so ein verdammtes, gepflegtes Glas Wein. Ich wollte einen nüchternen Vater. War das zu viel verlangt?

 

Nüchtern war er mein König.

 

Wenn er getrunken hatte, sah er aus, als schrumpfte er zusammen, saß mit stierem Blick vor dem Fernseher und ließ die Fingernägel gegeneinander klacken.

Klack. Klack. Klack.

Ein erbärmliches Geräusch.

 

Früher haben Mutter und ich ihn manchmal von der Arbeit abgeholt. Der Weg führte über eine Brücke. Meine Beine waren kurz, die Brücke lang.

Schwindelerregend.

Am anderen Ende sah ich ihn oft schon auftauchen, eine vertraute Gestalt im grauen Mantel. Und ich rannte los. So schnell ich konnte. Über die Brücke, die mich ganz sicher in den Abgrund zerren wollte. Stürzte mich in die sicheren Arme meines Vaters.

Wie man sich sicher fühlen kann, obwohl man geschlagen wird?

Schwer zu sagen. Ich hatte mal ein Meerschweinchen. Als es starb, bettete er es in eine Zigarrenkiste, bastelte ein Holzkreuz mit einer Münze im Schnittpunkt der Hölzer und wir begruben es auf unserem Hof.

So ein Vater war er.

 

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